Vorgehängt!
- Text: Sebastian Redecke
- Fotos: Daniel Sumesgutner
Der Hohenzollerndamm führt im Südwesten Berlins durch ganz Wilmersdorf. Erst kurz hinter dem Roseneck geht der Boulevard nach einer Biege in die Clayallee über. Das Roseneck, an der Grenze zu den Ortsteilen Schmargendorf und Grunewald, ist ein offener grüner Platz mit mächtigem Baumbestand, früher mit Rosen bepflanzt, als er der Endpunkt mit Kehre der Tramlinie 57 war. 1954 wurde die Strecke stillgelegt. Heute fahren hier Busse.
Man kennt den Ort: Das „Wiener Conditorei Caffeehaus am Roseneck“ ist Treffpunkt für das dort ansässige eher ältere, bürgerliche Publikum. Schräg gegenüber entstand, ebenfalls 1954, auf einem Y-förmigen Grundriss mit 16 Geschossen das erste Wohnhochhaus Berlins. Gleich hinter dem Hochhaus liegt etwas abseits die ruhigen Marienbader Straße.
Der dortige Wohnungsbau mit der Hausnummer 4 wurde wenige Jahre später, in der Zeit der internationalen Bauausstellung Interbau 1957, fertiggestellt und füllt, sehr viel kleiner als sein hoher Nachbar. Wie viele der Bauten aus den späten 1950er-Jahren war auch er ein Vorzeige-Projekt für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum; ein bescheidenes Bauprojekt, das allerdings frei finanziert wurde.
Der Gebäudetyp weist in der Beton-Rahmenstruktur Vor- und Rücksprünge der Fassade auf, die nicht nur aufwändig in der Genehmigung, sondern auch konstruktiv umständlich zu realisieren waren und für die Wohnungen keine großen Vorteile brachten. Für einen weiteren Bau dieses Gebäudetyps im Hansaviertel wurden daher die geringen Fassadensprünge im Bereich der Küche wieder aufgegeben. Das Haus war bei den Bewohnern und Bewohnerinnen sehr beliebt. Viele blieben ein Leben lang in den bei Erstbezug topmodernen Wohnungen. Zur Straße hin sind 1-Zimmer-Apartments mit Loggia – im Erdgeschoss mit einem zusätzlichen Zimmer – und rückwärtig 1-Zimmer-Apartments mit Balkon angeordnet, jeweils mit kleiner Küche und kleinem Bad. Das Gebäude hatte im Laufe der Zeit einige wenige Veränderungen erfahren, beispielsweise einen sonderbaren Giebel aus Stahl über dem zurückgesetzten Hauseingang.
Energetische Sanierung: Die Fassade des bewohnten Hauses konnte nicht einfach weggerissen werden
Der allgemeine Bauzustand, vor allem der Wandaufbau aus Faserzement- sowie, innen, Pressspanplatten und schlechter Dämmung mit Styropor, machte eine Sanierung für den Bauherrn, die Berliner Reger GmbH, unumgänglich. Brigitte Kränzel, die Architektin der Immobiliengesellschaft, wollte eine wärmegedämmte Fassade und gleichzeitig die Loggien erhalten. Sie setzte ein neues Fassadenelement vor die Loggien, um so kostbare Wohnfläche für die kleinen Apartments zu gewinnen. Beim Bau war zu differenzieren zwischen leerstehenden und bewohnten Apartments. „Während die Mieter in den Wohnungen lebten, konnten wir die Fassade nicht wegreißen. Es musste also etwas vorgehängt werden“, so Kränzel. Daraus ergab sich für die energetische Optimierung des Gebäudes ein Mischkonzept aus einer Komplett- sowie reinen Fassadensanierung.
In den leerstehenden Wohnungen wurden die alten Fensterelemente vollständig entfernt sowie neue Böden, Bäder, Abstellräume und offene Küchenzeilen eingebaut. Die neuen Fassadenmodule wurden hier direkt an den vergrößerten Wohnraum und in den bewohnten Einheiten vor die bestehende Fassade mit alten Fenstern gesetzt, sodass die Loggien in kleine Wintergärten umgewandelt wurden. Damit verlagert sich die Wärmedämmebene des Gebäudes von der Innenseite der Loggia auf die Außenseite. Auf der Rückseite des Gebäudes mit Blick auf den begrünten Hof wurden während der Sanierung sämtliche Fenster ausgetauscht und teilweise durch Fenstertüren ersetzt. Die Stabgeländer der alten Loggien von der Straßenfassade wurden abgenommen, aufgearbeitet und hinten als Fortsetzung der Balkongeländer vor den neuen Austritten der Wohnräume eingebaut.
Mit Solarlux fand die Architektin einen Partner, den sie bereits als Hersteller mit Renommee von beweglichen Fassaden kannte. Eine vollständig bewegliche Verglasung der vorgehängten Konstruktion war dem Bauherrn allerdings zu kostenintensiv. Durch die Prüfung verschiedener Fassadenlösungen wurde mit dem SL Modular System 960 schließlich ein Kompromiss gefunden, in dem die weite Öffnung per Glas-Faltwand mit einem festen Brüstungselement kombiniert wird. Das Fassadenmodul aus Aluminium eignete sich bestens für beide vom Bauherrn geforderten Bereiche: die Komplettsanierung der leeren Apartments und die thermische Einhausung der Loggien der bewohnten Apartments.
Es entstand ein vollwertiger Wohnraum. Je nach Wetterlage kann die Glas-Faltwand geschlossen oder als Loggia großflächig geöffnet werden. Zudem lässt sie sich sehr platzsparend „parken“. Im Bereich der Küchen enthält das Modul jeweils klassische zweiflügelige Dreh-Kipp-Fenster sowie ein geschlossenes Brüstungsmodul, dessen türkiser Farbton auf Wunsch des Bauherrn von Geschoss zu Geschoss leicht variiert. Konstruktiv bietet das System durchdachte Details mit technisch sauberen Anschlüssen an der alten Rahmenkonstruktion der Fassade.
Ein Fassadenmodul für zwei Sanierungsbereiche, die leeren und die bewohnten Apartments
Kleine Ungenauigkeiten bei der Errichtung des Hauses Ende der 1950er-Jahre führten allerdings dazu, dass die einzelnen Elemente der Wohnungen in ihren Abmessungen mit minimalen Abweichungen angefertigt werden mussten. Für den Sonnen- und Blendschutz sorgen außen großflächige Raffstores. Die Fachplaner von Solarlux wurden für die vollständige Abwicklung der Fassade beauftragt. Dazu zählte die gesamte Projektleitung vom Aufmaß, der Werkdetailplanung und Ausführung bis zur Abnahme.
Mit der 2022 abgeschlossenen umfassenden Sanierung ist es gelungen, nicht nur die Wohnqualität und die Wärmedämmung deutlich zu verbessern, sondern dem Gebäude ein neues, für die kleine Marienbader Straße angenehm großzügiges Äußeres zu verleihen.
Energetische Fassadensadensanierung, Marienbader Straße