Im Spreewald
- Autor: Barbara Mäurle
- Fotos: Wolfgang Zlodej
Ein Mosaik aus Wiesen, Äckern und Wald sowie das Geflecht aus Kanälen und Fließen machen die Einzigartigkeit des Spreewalds aus. Die Region im Südosten von Brandenburg ist UNESCO-Biosphärenreservat und bietet die perfekte Umgebung für eine Auszeit vom Alltag. Für diesen Ort hat der Architekt Marc Feustel ein Wochenendhaus entworfen. Es verbindet traditionelle Bauweise mit moderner Architektur und schafft etwas Neues, das trotzdem zum Ort gehört.
Nur eine Autostunde von Berlin entfernt, ist die Kauperinsel in der Gemeinde Burg für die Bauherrnfamilie der ideale Ort, um den Lärm und den Stress der Großstadt hinter sich zu lassen. Das Grundstück des Wochenendhauses erweist sich dabei als Glücksfall: Richtung Norden hält es einen unverbauten Blick in das Naturschutzgebiet bereit, nach Süden ist es an die bestehende Infrastruktur der Siedlung angeschlossen.
Symbiose zwischen Alt und Neu
Von Anfang an stand fest, dass dort ein Haus entstehen sollte, das zwar Bezug nimmt auf den konventionellen Baustil der Region, diesen jedoch neu interpretiert. „Die zukünftigen Bewohner wünschten sich eine Melange aus zwei Welten: der vergangenen und der zukünftigen – quasi eine Mischung aus einem traditionellem Spreewaldhaus und dem Farnsworth House von Mies an der Rohe“, schildert Architekt Marc Feustel. Die baulichen Rahmenbedingungen der Gestaltungssatzung der Gemeinde Burg boten ausreichend Spielraum, um die Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Als Adaptionen an die traditionelle Spreewald-Architektur hat das Wochenendhaus ein um fünfzig Grad geneigtes und mit Reet gedecktes Dach sowie herkömmliche Fenstergrößen und eine Lärchenholzverschalung an der Südseite. Zur nördlichen Giebelseite öffnet es sich mit großen Glasflächen in Richtung des geschützten Naturerbes.
Die großen Fensterformate in Kombination mit den schmalen Rahmenprofilen erfüllen den Urwunsch moderner Architektur, Innen- und Außenraum zu jeder Jahreszeit vollständig miteinander verschmelzen zu lassen.
Marc Feustel, Architekt
Die Natur als Hauptakteur
Die transparente Fassade beruht dabei auf einem wesentlichen Entwurfsgedanken: die Natur als Hauptakteur so in Szene zu setzen, dass sich der Mensch auch im Gebäudeinneren als Teil der Landschaft fühlt. Folgerichtig sieht das Gestaltungskonzept keine Außenbeleuchtung und blickverstellenden Zäune vor – dafür aber eine standortgerechte Bepflanzung, Gewässer und naturfarbene Oberflächen wie den aus Bambus gefertigten Terrassenbelag. Letzterer wird ebenso wie die Lärchenholz-verschalung mit der Zeit verwittern und sich optisch den hellgrauen Stahl- und Aluminiumoberflächen anpassen. Boden, Türen und Möbel des sich über zwei Etagen erstreckenden Wochenendhauses mit 75 Quadratmetern Wohnfläche sind aus Eiche. Im Erdgeschoss befinden sich außer einem großen Wohn- und Essbereich mit Küche, ein Bad und die Sauna, während im Obergeschoss zwei Schlafzimmer und ein weiteres Bad untergebracht sind. Für Grundwärme und Warmwasser sorgt eine moderne Gastherme mit einem Flüssigtank auf dem Grundstück; Behaglichkeit zur kalten Jahreszeit schafft zusätzlich ein geschlossener Heizkamin mit Sichtfenster.
Ressourcenschonend gebaut
In der Umsetzung war eine in sich stabile Stahlrahmenbauweise notwendig, die mit Holzständerwänden kombiniert wurde. Darüber hinaus ist das Haus wegen des feuchtweichen Untergrunds vollständig aufgeständert und schwebt über dem Boden. So könnte es theoretisch abgehoben und an einem anderen Ort wieder aufgestellt werden. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft kamen außerdem Bauteile und Materialien zum Einsatz, die sich sortenrein voneinander trennen und vollständig recyceln lassen: etwa Wände aus Holz- und Gipsfaserplatten, Aluminiumverkleidungen oder auch die große Glasfassade auf der Nordseite. Die verbauten Ressourcen sollen laut Architekt Feustel bald in einem digitalen Materialpass erfasst werden, um sie im Falle eines späteren Rückbaus über eine entsprechende Datenbank vermitteln zu können: „Denn verantwortliches Bauen bedeutet auch, dass wir in der Planung und Konstruktion bereits eine spätere Weiternutzung mitdenken müssen.“
Spreewaldhaus bietet maximale Flexibilität
Eine besondere Herausforderung stellte die Anlieferung der jeweils 600 Kilogramm schweren Schiebefenster im Erdgeschoss dar. Für sie musste eine Art temporäre Straße aus Betonfertigteilen errichtet werden, damit die Fahrzeuge nicht im sumpfigen Boden des Biosphärenreservats versanken. Der Einbau selbst verlief problemlos, weil alle Bauteile zuvor nach einem präzisen BIM-Modell gefertigt worden waren. Die Glasflächen im Erdgeschoss des Spreewaldhauses wurden mit cero Schiebefenstern von Solarlux umgesetzt. Die großen Bauelemente mit schmalen Rahmenansichten bieten maximale Transparenz und können bei Bedarf großflächig aufgeschoben werden. Auf zweispurigen Edelstahl-Laufschienen lassen sie sich von Hand und ohne großen Kraftaufwand bewegen. Die vier verbauten Schiebefenster sind fast drei Meter hoch und bis zu 3,80 Meter breit. Aufgrund einer Eckausbildung ohne Stützen lässt sich die Fassade an der Nordwestecke auf über 15 Quadratmeter öffnen – und bietet damit maximale räumliche Flexibilität. Auf der gegenüberliegenden Ostfassade ist es eine ebenfalls über zehn Quadratmeter große cero-Festverglasung, die uneingeschränkte Ausblicke in die unberührte Natur gewährt.
Spreewaldhaus, MAFEU Architektur
Architekten
MAFEU Architektur
mafeu.de
Katzbachstraße 11, 10965 Berlin, mafeu.de
MAFEU ist ein Architektur- und Designbüro, das 2001 in Berlin von Marc Feustel gegründet wurde. Das junge Team verfügt über Erfahrungen in Projekten verschiedener Maßstäbe und Bereiche, von Bestands-, Wohnungs- und Gewerbebauten bis hin zu öffentlichen Gebäuden. Es verfolgt einen nachhaltigen Gestaltungsansatz, bei dem Nutzerbeteiligung, kooperative Kreativität und zukunftsgewandte Bautechniken sowohl der Gesellschaft als auch der Natur zugutekommen sollen.
Projekte (Auswahl)
2022 Wohnheim der Behindertenhilfe St. Norbert, Michendorf
2021 Haus am See Suchttherapie, Tornow
2020 Dacherweiterungen Heimstaden, Berlin
2018 Therapie-Zentrum FA40, Berlin
2015 Generationenwohnen Pankow, Berlin
2012 Villa El Caracol Kita, Berlin