Ein Laubengang inmitten von Baumkronen
- Autor: Tillman Detering
- Fotos: Till Schuster
Ein genossenschaftlicher Wohnungsbau, der sich typologisch an der umliegenden 50er-Jahre Zeilenbebauung orientiert, ergänzt das Bild der Dresdner Fetscherstraße. Mit einer dezenten Faltung reagiert er gekonnt auf sein Umfeld, eine zu öffnende, ungedämmte Glasfassade von Solarlux schützt die vorgelagerten Laubengänge vor Lärm und Schmutz.
Nicht nur in der pompösen Altstadt, sondern auch an unscheinbareren Orten in Dresden treffen Gebäude verschiedener Zeitschichten aus der bewegten Stadtgeschichte aufeinander. Die Fetscherstraße zum Beispiel kann man wie einen Zeitstrahl lesen: Sie ist die Verlängerung der Fürstenallee als Querachse des Großen Gartens und führt vom Comeniusplatz nach Norden bis zur Elbe. Dort dient sie seit 2013 auch als Hauptzufahrt für die Waldschlößchenbrücke, welche Dresden damals den Welterbetitel kostete.
Genossenschaftlicher Wohnbau
An der vierspurigen, von Platanen gesäumten Straße, die die Stadtteile Johannstadt und Striesen trennt, findet sich auf der altstadtnahen Johannstädter Seite noch gründerzeitliche Blockrandbebauung, die im zerstörten nördlicheren Teil von Zeilenbauten aus DDR-Zeiten abgelöst wird, während auf der Blasewitzer Seite hauptsächlich „Dresdner Kaffeemühlen“ stehen, freistehende Punkthäuser mit Walmdach – teils erhalten, teils typologisch verwandt neu gebaut. Auf einem der letzten der jahrelang brachliegenden Grundstücke an der Kreuzung zur Blasewitzer Straße vervollständigt nun ein Wohnbau der Wohnungsgenossenschaft Johannstadt (WGJ) von Leinert Lorenz Architekten die Stadtstruktur.
Das auf Johannstädter Seite liegende Gebäude orientiert sich an der angrenzenden Zeilenbebauung aus den 50er-Jahren – eine der Zeitschichten, die im Dresdner Baudiskurs eher vernachlässigt wird. Drei Bestandsbauten entlang der Dürer-, Kreuzer- und Blasewitzer Straße, allesamt frisch sanierte und teilweise aufgestockte Häuser der WGJ, bilden einen großzügigen Hof. Die neue Zeile schließt den Block nun zur Fetscherstraße ab – die vorhandenen breiten Wege- und Blickbeziehungen wurden dabei berücksichtigt – und vervollständigt so das genossenschaftlich verwaltete Ensemble.
Neubau soll Fetscherstraße beleben
„Das Projekt war von Beginn an als Bereicherung des Stadtquartiers durch Form, Funktion und architektonische Umsetzung konzipiert“, sagt Dirk Lorenz aus Sicht des zuständigen Architekturbüros. Eine wirkliche Vollendung, ergänzt Gründungspartner Falk Leinert, finde dieser Leitgedanke aber erst in der angestrebten, öffentlichen Erdgeschossnutzung.
Auf sein Umfeld reagiert das Gebäude auf verschiedene Arten: Die erwähnte Erdgeschossnutzung, die noch aussteht, soll den Straßenraum aktivieren und bildet eine Verbindung zum neu gestalteten Hof, wo eine Cafénutzung vorgesehen ist. Eine leichte Faltung rhythmisiert das Volumen und räumt den ausladenden Baumkronen genug Platz ein. Um auf Lärm- und Feinstaubbelastung zu reagieren sind die Wohnräume und Loggien zur Hofseite angeordnet, vor den straßenseitigen Küchen und Bädern befindet sich ein großzügiger Laubengang, der gleichzeitig Erschließung, Pufferzone und zusätzlicher Außenbereich ist. Die Schiebe-Dreh-Glasfassade von Solarlux sorgt hier für Schutz vor Lärm, Schmutz und Laub.
Wohnraum mit Sichtbeton-Charme
Über zwei stirnseitig angeordnete Treppenhäuser in Sichtbetonoptik, die mit jeweils einheitlich farblichen Details versehen sind – Geländer, Beschriftungen und Briefkästen sind in einem Treppenhaus blau, im gegenüberliegenden rot gehalten – gelangt man auf die Laubengänge und so zu den Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen. Kleine, vorgesetzte Abstellräume und Lichtschächte nahe den einzelnen Wohnungseingängen bilden eine Fuge und ermöglichen Privatsphäre, ohne von den Nachbarn abzuschotten. Die Laubengänge sind von perlbeigen Farbdetails bestimmt: Fensterrahmen und -bretter, die Abstellräume sowie die Geländer aus Streckmetall zum Außenraum und den durchgehenden Lichtschächten vor den Wohnungen. Die Farbgestaltung bildet so einen Kontrast zum Sichtbeton, dem hellbeigen Putz der Fassade und den anthrazitfarbenen Bodenfliesen.
Glasfassade: Licht, Luft und Ruhe
Neben den Lichtschächten sorgt die ungedämmte Glasfassade, die geschoss- und abschnittsweise der Faltung des Hauses über fünf Obergeschosse und die gesamte Gebäudebreite folgt, für ausreichende Belichtung der 1,4 bis drei Meter tiefen Laubengänge.. Die Schiebe-Dreh-Elemente Proline T von Solarlux lassen sich öffnen und seitlich der jeweiligen Abschnitte parken. Im geschlossenen Zustand sorgen der natürliche Luftzug durch Fugen und integrierte Spaltlüfter für Luftzirkulation und eine angenehme Temperatur.
Im ersten Obergeschoss lässt sich der Luftzug zusätzlich durch in die Fassade integrierte Kippelemente steuern, die auch als Rauchklappen für die verschiedenen Brandabschnitte dienen. Da die Scheiben nur an Ober- und Unterseite von einer dezenten Aluminiumschiene gehalten werden und sonst ohne Profile auskommen, ist man besonders in den oberen Geschossen fast unmittelbar vom Grün der Baumkronen umgeben – ohne vom Straßenlärm gestört zu werden.
Alle Wohnungen sind seit der Fertigstellung bewohnt, die Küchenfenster verhalten geschmückt. Der neu gestaltete Hof mit vielen Bäumen und Spielplatz lädt schon jetzt zum Aufenthalt ein. Demnächst wird sich auch die Idee des kuratierten Erdgeschosses verwirklichen. Mit zwei öffentlichen Angeboten werden das Haus und die angrenzenden Quartiere eine weitere Aufwertung erfahren, berichten die Architekten und ergänzen: „So fügt das Gebäude auf dem baulichen Zeitstrahl der Fetscherstraße einen neuen Punkt hinzu, der sich über gemeinschaftlich nutzbare Orte zu einem urbanen Bindeglied entwickelt.“
„Das Projekt war von Beginn an als Bereicherung des Stadtquartiers durch Form, Funktion und architektonische Umsetzung konzipiert.“
Dirk Lorenz, Partner Leinert Lorenz Architekten
Wohnungsbau Fetscherstraße, Dresden
Architekten
Leinert Lorenz Architekten
Leinert Lorenz Architekten, Tannenstraße 2, 01099 Dresden
Ist ein Architekturbüro in Dresden, das deutschlandweit Projekte realisiert. Der Schwerpunkt liegt auf einer zeitgemäßen Architektur und einer minimalistischen Formensprache, die sowohl die Baukultur bereichert als auch den Raum neu interpretiert. Gegründet wurde das Büro 2007 von Falk Leinert und Dirk Lorenz.
Projekte
2024 Wohn- und Geschäftshaus am Straßburger Platz, Dresden
2023 Wohnhaus am Hang, Dresden
2022 Mehrfamilienhaus Wiener Straße, Dresden
2019 Bürohaus Breitscheidstraße, Dresden
2017 Wohnsolitär Gret-Palucca-Straße, Dresden