„Hochhäuser nehmen vom Himmel und müssen der Stadt etwas zurückgeben“
- Autorin: Marie Bruun Yde
- Fotos: James Silverman
Carlsberg Byen in Kopenhagen nutzt die Märchenhaftigkeit der historischen Architektur, um die neue Stadt in der Stadt zu beleben. Der von Vilhelm Lauritzen Architekter und dem schwedischen Büro Wingårdhs entworfene Pasteurs Tårn (Pasteur-Turm) ist nun das höchste Gebäude der dänischen Hauptstadt. Mit der schönen Kontur und Fassade legitimiert er sein Ausbrechen aus der Kopenhagener Skyline.
Bis 2008 war Carlsberg Byen in Betrieb. Dann wurde die Bierproduktion nach Fredericia verlagert. Als Carlsberg 1850 von Kopenhagen „aufs Land“ also zwei Kilometer vors damalige Stadttor gezogen war, befand sich die Brauerei in der offenen für die Expansion freien Landschaft. Inzwischen wurde diese von der wachsenden Hauptstadt geschluckt und ist heute von den Stadtteilen Vesterbro, Valby und Frederiksberg umschlossen. Anders als der Kopenhagener Hafen und Ørestad gehört Carlsberg Byen weiterhin der gleichnamigen Brauerei und ist somit komplett privat.
Nach der Gentrifizierung Kopenhagens gewann das Grundstück erheblich an Wert, aber statt die Immobilien zu verkaufen, kündigte Carlsberg an, eine Stadt mit eigenen Qualitäten schaffen zu wollen. Diese sollte dem hochwertigen denkmalgeschützten Baubestand auf dem Gelände gerecht werden, wie etwa dem ikonischen Elefantentor von 1901, den vom Architekten Svenn Eske Kristensen in den 1960er Jahren entworfenen „Hängenden Gärten“ und dem Lagerkeller 3 mit den großen sphärisch gekrümmten und mit Blattgold überzogenen Scheiben.
Der Pasteurs Tårn zeigt eindrucksvoll die Potenziale des vertikalen Bauens, wenn es darum geht, in stark verdichteten Gebieten und Städten großflächig neuen Wohnraum zu schaffen.
Den offenen Wettbewerb für den Masterplan gewann das in Kopenhagen ansässige Architekturbüro entasis mit einem Entwurf, der ein eng gewobenes Netz von Plätzen, Straßen, Gassen, Passagen und Hinterhöfen vorsah und auf der Idee gründete, „dass die Räume der Stadt wichtiger sind als die Gebäude“. Die Architekten griffen die klassische Wohnblockstruktur der Kopenhagener „Brückenquartiere“ auf, interpretierten sie aber dynamischer und weniger streng. Die fast labyrinthische Anordnung resultiert aus dem Nachzeichnen der alten Kellerstruktur Carlsbergs, womit eine weitere historische Schicht integriert wurde. Ausgezeichnete Architektinnen wurden für die Gestaltung der Gebäude engagiert, wie etwa Dorte Mandrup für die Transformation der Mineralwasserfabrik und die Neubauten des Vilhelm Hauses und des Beckmanns Turms.
Pasteurs Tårn prägt Stadtsilhouette
Heute ist der neue Stadtteil weitestgehend fertiggestellt, und das Potenzial von Carlsberg Byen scheint mit dem dichten, lebendigen Stadtraum verwirklicht worden zu sein. Gleich beim Eintritt ins Quartier erkennt man die besondere Identität: Der Stadtteil umschließt einen, an jeder Ecke warten neue Situationen, Autos sind nicht zu sehen, die neuen dunkelbraunen Fassaden korrespondieren mit denen der alten roten Ziegelbauten, viele kleine und große Plätze mit Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten vereinen die neuen und alten Gebäude. Überall finden sich Cafés und schick gekleidete Menschen – durchaus dem Kopenhagen-Klischee entsprechend. Carlsberg Byen gehört zwar zum neuen Kopenhagen, aber ein weiteres Merkmal, das es von beispielsweise Ørestaden unterscheidet, ist das Kulturerbe. Der neue alte Stadtteil hat über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsene Strukturen mit ihren eigenen Erzählungen und Herausforderungen, die vielen Neubau-Quartieren auf der grünen Wiese z. B. fehlen.
Die historische Architektur gibt Carlsberg Byen räumliche Qualitäten, Kleinteiligkeit und Erlebnisreichtum. Und dennoch bricht Carlsberg den historischen Maßstab. Ein weiteres durchgehendes Element sind die Hochhäuser. Diese prägen die Silhouette des Stadtteils. Obwohl sie im Gegensatz zum betonten Zusammenspiel von Neuem und Altem eher einen Kontrast zum Bestand bilden, funktioniert die Blockstruktur in Kombination mit den Türmen gut. Die Höhepunkte wirken nicht solitär inszeniert, sondern sind so platziert, dass sie aus den niedrigeren Gebäuden herauszuwachsen scheinen. Alle Hochhäuser sind quadratisch, sehr hoch, schlank und wie die Umgebung in Erdfarben gehalten.
Hoch und niedrig
Der Pasteurs Tårn ist von den insgesamt neun Hochhäusern das eleganteste. Mit 120 Metern und 38 Geschossen ist er am höchsten, wirkt mit seinen 22,5 mal 22,5 Metern Grundfläche und den Eckfenstern extra schmal und nimmt seine Intervention als Ob- jekt am Himmel ernst. Er markiert den Übergang zwischen dem grünen J. C. Jacobsens Have, der früher privat genutzt wurde, heute jedoch als öffentlicher Park allen zur Verfügung steht, und dem alten Industrieviertel. Das Punkthochhaus wurde vom däni- schen Architekturbüro Vilhelm Lauritzen in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Büro Wingårdhs entworfen.
Die Besonderheit liegt im ausgewogenen Verhältnis zwischen hohen und niedrigen Elementen. Für Vilhelm Lauritzen Arkitekter war es wichtig, dass der Turm direkt am Boden auf gleicher Höhe mit den umliegenden Fassaden beginnt und die Ecke eines Wohnblocks bildet. Auch die Details auf Straßenebene, die doppelte Höhe des Erdgeschosses und das Vordach, die Haptik des Cortenstahls, die Ästhetik des ornamentalen Fassadenmusters und das Café als klarer Treffpunkt, machen den kleinen Maßstab der Fußgängerebene angenehm.
„Die Glas-Faltwände von Solarlux können komplett geöffnet werden, und das gesamte Wohnzimmer kann somit als Teil der Balkone einbezogen werden.“
Steen Trudsøe Larsen, Vilhelm Lauritzen Arkitekter
Auch vermittelt der Turm zwischen innen und außen: Denn obwohl es so nah an der dänischen Küste sehr windig ist, sind Balkone beliebt. Die Wohnungen im Pasteurs Tårn verfügen über kleine private Freiräume in Form von Loggien und französischen Balkonen. Die Balkone sind zwar klein, aber: „Die Glas-Faltwände von Solarlux können komplett geöffnet werden, und das gesamte Wohnzimmer kann somit als Teil der Balkone einbezogen werden“, sagt Steen Trudsøe Larsen, Projektverantwortlicher bei Vilhelm Lauritzen Arkitekter. Auf diese Weise werde der private Freiraum voll ausgenutzt.
„Wir passen unsere Häuser immer an den jeweiligen Standort an und untersuchen dafür die einzigartigen Merkmale des Ortes, bevor wir das Gebäude entwerfen. Als höchstes Bauwerk in Carlsberg Byen verkörpert der Pasteurs Tårn ein von Türmen geprägtes Designkonzept und verleiht dem dicht besiedelten Kopenhagener Stadtteil eine neue vertikale Dimension. Mit seiner Fassade aus Cortenstahl fügt sich der Turm harmonisch in seine Umgebung ein.“
Steen Trudsøe Larsen, Vilhelm Lauritzen Arkitekter
Pasteurs Tårn, Vilhelm Lauritzen Architekter
Architekten
Vilhelm Lauritzen Architekter
Vilhelm Lauritzen Architekter, Pakhus 48, Sundkaj 153 1.tv., 2150 Nordhavn, Dänemark
Ist ein dänisches Architekturbüro, das 1922 gegründet wurde und im Kopenhagener Stadtteil Nordhavn seinen Hauptsitz hat. Das Büro realisiert Projekte auf allen Maßstabsebenen und legt einen besonderen Fokus auf komplexe Typologien. Der Entwurf folgt dabei den Prinzipien der nordischen Moderne beziehungsweise dem „Inside-Out“-Ansatz, der Funktionalität, Kontext und Inklusivität in den Mittelpunkt rückt.
Projekte
2023 Forschungsgebäude The Niels Bohr Building, Kopenhagen
2022 Hochgarage The Timber House, Kopenhagen
2021 Bürogebäude KB32, Kopenhagen